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01. November 2023 · Kreatives

Das perfekte Bild – eine Einsichtssache

Es gibt sie. Es muss sie geben, die perfekte Gestaltung. Und ja, tatsächlich habe ich sie schon oft gesehen – zumindest in meinem Kopf. Dort kann ich sie ganz deutlich wahrnehmen. Ein Bild, bei dem einfach alles stimmig ist. Ich male mir jedes Detail aus und ich bin froh, dass ich eine Vision habe. Eine Orientierung, eine Aufgabe. Doch dann die Realität. Ich beginne mit dem ersten Strich und schon habe ich das Gefühl, „das wird nichts“. Oder es läuft zunächst nicht schlecht, doch dann kommt die Angst, etwas kaputt zu machen. Das Bild ist längst noch nicht fertig, weitermachen trau ich mich aber nicht so richtig. Und schon ist sie da, meine Unzufriedenheit. Sie schlägt hinterrücks zu und verwandelt meine Anfangseuphorie in ein unangenehmes Gefühl von Frustration. Gelingt mir denn so gar nichts? Wenn ich unsicher bin, neige ich zum Perfektionismus. Dann soll alles stimmen. Möglichst unangreifbar sein. Kein Fehler soll entdeckt werden. Ein besonders guter Nährboden für meine innere Kritikerin. Ich weiß, da ist sie immer zur Stelle. Oft fühle ich mich dann hilflos und fange an zu schwitzen. In solchen Situationen bin ich am kleinlichsten mit mir. Da ist nichts gut genug. Es wird verbessert, überarbeitet und wiederrufen. Was also tun? Aufgeben? Weitermachen? Aber wie? Wie ist es überhaupt dazu gekommen, dass ich mich jetzt so schlecht fühle? Ich wollte doch nur dieses eine schöne Bild malen. Mir etwas Gutes tun.

Im Laufe der Jahre habe ich durch das Gestalten vieles über mich gelernt. Und vor allem vieles dazugelernt. Ich habe viele Fehler gemacht und diese als Teil des Prozesses angesehen. Plötzlich war der Fehler ein notwendiger Teil der Arbeit und nicht mehr mein Makel. Insgesamt hat sich meine Einstellung zu vielen Dingen geändert. Was, wenn ich kein konkretes Bild im Kopf haben muss, um mich auf eine Gestaltungsreise zu begeben? Was, wenn ich lerne, mich mit Gegebenheiten zufriedenzugeben und spontan darauf zu reagieren?

Was, wenn ich meine Haltung gegenüber „perfekt sein müssen“ hinterfrage und sie erweitere zu „so annehmen, wie es ist“? Gut genug und somit ganz genau perfekt zu sein mit all den scheinbaren Unstimmigkeiten darin – das macht es doch lebensnah. Doch auch angreifbar, denke ich. Ja, aber meist wurde ich das ja nie.

Einfach drauflos gestalten? Fragezeichen im Kopf? Wie jetzt? Diese Unsicherheit wollte ich doch vermeiden. Ja, und da ist es wieder, das Nichtwissen, das Ungeplante…doch dieses Mal reagiere ich nicht mit Perfektionismus, sondern lass mich treiben. Geh da einfach mal mit. Es kommt so vieles dazwischen. Das Material, die Pinsel, der Untergrund. Die Farbe lässt sich nicht mischen, dann verläuft sie wieder. Was tun? Alles scheint außer Kontrolle. Wie kann ich mir selbst helfen?

Vielleicht lass ich die Farbe einfach mal machen. Schaue zu. Da wird ein Fleck ein Vogel oder eine Frucht. Ich selbst habe das nicht so geplant, das wollte ich nicht so, aber irgendwie entsteht da etwas... etwas Neues. Und ich lasse es einfach zu. Da geht es auf. Aus dem Kampf um Vorherrschaft über das Bild wird eine Zusammenarbeit. Ich lasse mir nun durch meine innere Bewegung (obwohl ich nicht weiß, wohin sie möchte) helfen. Ich lasse mir von den Farben helfen, die da so geduldig auf mich warten.

Und am Ende wird es dann manchmal doch perfekt. Nur anders als gedacht.

 

Bildnachweis: Franziska Schmid

 

Über die Autorin des Kreativbeitrages

Franziska Schmid arbeitet seit 2012 als Kunsttherapeutin am TCE. Für sie ist es wichtig, zu vermitteln, dass Bilder Begleiter sein können und einen ganz besonderen Zugang zum eigenen Selbst offenbaren. Ansonsten soll das Gestalten Spaß machen und voller Möglichkeiten sein. Ihre Freizeit verbringt sie gerne in ihrem eigenen Atelier. Es ist ihr Rückzugsort, an dem sie selbst gestalterisch tätig ist.